Swiss Piloten fliegen weiterhin ohne GAV

31. Juli 2022: Die Mitglieder des Pilotenverbands Aeropers haben den von Swiss und dem Aeropers-Vorstand ausgehandelten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) sehr deutlich abgelehnt, wie Swiss und Aeropers heute mitteilen. Der Vertrag stellte aus Sicht von Swiss nach mehrmonatigen und intensiven Verhandlungen einen Kompromiss dar. Aeropers dagegen betrachtete den GAV als unausgewogen und fordert nun zügig Nachbesserungen. Auswirkungen auf die Stabilität des Flugbetriebes seien aber durch die Ablehnung des GAV nicht zu erwarten, so die Swiss.
Die Mitglieder des Pilotenverbands Aeropers haben den von Swiss International Air Lines und dem Aeropers-Vorstand vereinbarten Gesamtarbeitsvertrag (GAV2022) mit 80,5 Prozent der abgegebenen Stimmen abgelehnt. Das Resultat wurde am 31. Juli von Aeropers nach je zweiwöchiger Kommentierungs- und Abstimmungsphase für die Mitglieder bekannt gegeben. «Mit einer Annahme hätte der neue GAV für die kommenden vier Jahre vertragliche Stabilität in einem sehr volatilen Airlineumfeld geboten» erklärt Oliver Buchhofer, Head of Operations und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung von Swiss. «Wir bedauern das Abstimmungsresultat, respektieren jedoch selbstverständlich diesen Mehrheitsentscheid.»
Hätte die Geschäftsleitung der Swiss das erste Verhandlungsergebnis vom Februar (Memorandum of Understanding) angenommen, dann wäre am 1. April ein neuer GAV in Kraft getreten und die Piloten hätten nahtlos in einen neuen Vertrag gewechselt, teilt die Aeropers mit. Trotz Ablehnung des ersten Verhandlungsresultates durch Swiss sei die Aeropers damals an den Verhandlungstisch zurückgekehrt. Den GAV2018 hatte die Swiss-Geschäftsleitung Anfang 2021 mit der Begründung gekündigt, dieser sei nicht krisenfähig. Schliesslich sei man aber eben diesem GAV2018 erfolgreich durch die Krise geflogen, hält Aeropers fest. Der nun mit einem Nein-Stimmenanteil von 80,5 Prozent abgelehnte GAV2022 beinhaltete gemäss weiteren Aeropers-Angaben primär Anpassungen, die in guten Jahren den Cockpitmitarbeitern die Gewinnbeteiligung kürzen und noch schnelleres Wachstum auf Kosten des Bestandespersonals ermöglichen sollte. Entgegen den Äusserungen der Geschäftsleitung im Vorfeld der Verhandlungen, habe das sehr wenig mit Krisenbewältigung zu tun, so Aeropers weiter.
Als Konsequenz der Ablehnung wird der seit 1. April 2022 bestehende GAV-lose Zustand vorderhand weitergeführt. Auswirkungen auf die Stabilität des Flugbetriebes sind nach Swiss-Angaben dadurch nicht zu erwarten. «Ein neuer, zukunftsfähiger GAV für unser Cockpitpersonal bleibt eine Option», so Buchhofer. «Dafür sind wir jedoch auf einen verlässlichen Verhandlungspartner angewiesen. Es ist ein Novum in der Sozialpartnerschaft von Swiss und des Pilotenverbands, dass der Aeropers-Vorstand nach mehrmonatigen intensiven Verhandlungen den gemeinsam erarbeiteten und unterzeichneten GAV ihren Mitgliedern nicht zur Annahme empfohlen hat.»

Der Aeropers-Vorstand betrachtet den nun abgelehnten GAV2022 unter Berücksichtigung der Entwicklungen der letzten Monate bereits im Vorfeld als unausgewogen. Die Pilotengewerkschaft hatte noch vor der Publikation des GAV mit drei zusätzlichen Massnahmen versucht, die Ausgewogenheit zu verbessern. Die Geschäftsleitung der Swiss hatte diese Vorschläge aber abgelehnt. Trotzdem habe das leitende Organ des Pilotenverbandes beschlossen, den Vertrag den Mitgliedern zur Abstimmung vorzulegen, so Aeropers. Denn erst dadurch, dass die Mitglieder über diesen GAV2022 abstimmen konnten, entstand die notwendige Transparenz. «Nur so konnten unsere Mitglieder schwarz auf weiss sehen, was ihre zuverlässige Arbeit der Geschäftsleitung wert ist», sagt Clemens Kopetz, der Präsident von Aeropers.
Dass sich die äusseren Bedingungen in den letzten Wochen sehr rasch verbessert hätten, sei von der Geschäftsleitung der Swiss nicht berücksichtigt worden. Da die Regelungen im GAV grösstenteils unbefristet seien, fehlten den Angestellten die Perspektiven, teilt Aeropers weiter mit. Es sei der Geschäftsleitung offensichtlich darum gegangen, die Arbeitsbedingungen der Pilotinnen und Piloten auch weit über die Krise hinaus nachhaltig zu verschlechtern. Im Gegensatz zu Managern, welche durch Stellenwechsel ihre Position und Einkommen verbessern, könnten Piloten ihre Arbeitgeber nur mit grossen Einbussen wechseln und seien stark von ihrer Arbeitgeberin abhängig, schreibt Aeropers weiter. «Den offensichtlichen Willen der Geschäftsleitung, diese Abhängigkeit in der Krise auszunutzen, hat die Mehrheit der Mitglieder offenbar nicht goutiert», ergänzt der Präsident des Pilotenverbandes.
Die Swiss-Piloten fanden sich in einem fast unlösbaren Dilemma wieder, denn die Optionen bei der anstehenden GAV-Abstimmung waren beide schwierig. Die bittere Pille der Geschäftsleitung einfach zu schlucken und dem Vertrag zuzustimmen hätte zwar in der geopolitisch schwierigen Situation eine gewisse Sicherheit gebracht. Es hätte die Führung der Swiss aber auch dazu motiviert, mit ihrem Personal weiter so umzugehen wie bisher, schreibt die Aeropers. Die Ablehnung führe nun aber dazu, dass die Ungewissheit über die vertragliche Zukunft bestehen bleibe und es offen sei, wie stabil der Flugbetrieb in den nächsten Wochen sein wird. Das Dilemma der Cockpit-Crews beschreibt Henning M. Hoffmann, Geschäftsführer der Aeropers, wie folgt: «Einerseits müssen sie der Geschäftsleitung offenbar noch deutlicher zeigen, dass sie unzufrieden sind, andererseits wollen sie der eigenen Firma und den Kunden nicht schaden».
Die Angestellten in der Flugbranche sitzen im Moment aber am längeren Hebel, da in allen Bereichen dringend Personal gesucht wird. «Die Tatsache, dass im Moment innerhalb und ausserhalb der Aviatik akuter Mangel an Arbeitskräften herrscht und die Gesamtarbeitsverträge deshalb bei vielen Wettbewerbern zugunsten der Arbeitnehmer angepasst werden, hat wohl eine Mehrheit unserer Mitglieder dazu gebracht, den GAV2022 abzulehnen», erklärt Clemens Kopetz. Der Aeropers-Vorstand und die Mitglieder wollen zeitnah zusammen mit der Geschäftsleitung der Swiss die Verhandlung wieder aufnehmen und zügig einen ausgewogenen und tragfähigen Abschluss finden. Falls die Geschäftsleitung die Zeichen der Zeit weiterhin nicht erkenne und nicht umgehend adäquate Lösungen anbiete, dann müssen die Piloten der Geschäftsleitung noch deutlicher zeigen, wie unzufrieden sie sind, teilte die Aeropers weiter mit
Mit Ausnahme des Cockpitpersonals haben sämtliche Personalgruppen von Swiss mehrjährige Krisenvereinbarungen abgeschlossen. Gespräche mit Aeropers über eine solche Vereinbarung wurden Ende 2020 erfolglos beendet. Vor diesem Hintergrund hatte Swiss Anfang Februar 2021 den laufenden GAV per 31. März 2022 ordentlich gekündigt und Aeropers zu Verhandlungen über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag aufgefordert. hjb