Air-India-Unfallreport wirft weitere Fragen auf
12. Juli 2025: Der einen Monat nach dem verheerenden Absturz der Air India Boeing 787-8 in Ahmedabad – der 260 Menschenleben forderte – publizierte Zwischenbericht des indischen Aircraft Accident Investigation Bureau (AAIB) schreibt die Ursache des Unfalles den Piloten zu: Einer soll kurz nach dem Rotieren die Treibstoffzufuhr beider Triebwerke abgestellt haben. Ein Neustart der Triebwerke wurde versucht, kam aber zu spät. Doch weshalb sollte ein Pilot dies tun?
Gemäss dem AAIB-Report erreichte die Boeing 787-8 VT-ANB die aufgezeichnete Höchstgeschwindigkeit von 180 Knoten IAS um 08:08:42 UTC. Unmittelbar danach wechselten die Schalter für die Treibstoffabschaltung von Triebwerk 1 und Triebwerk 2 nacheinander von der «RUN- in die CUTOFF-Position» mit einem zeitlichen Abstand von einer Sekunde. Die Leistung der Triebwerke fiel sofort zurück, als die Treibstoffzufuhr unterbrochen wurde. In der Aufzeichnung der Cockpitstimme sei zu hören, wie einer der Piloten den anderen frage, warum er das Triebwerk abgestellt habe. Der andere Pilot antwortete, dass er dies nicht getan habe, so steht es im AAIB-Bericht.
Hier stellen sich die ersten Fragen: Weshalb soll ein Pilot in der kritischsten Flugphase die Treibstoffzufuhr beider Triebwerke unterbrechen? Weshalb steht im AAIB-Bericht nicht, welcher Pilot diesen fatalen Fehler gemacht haben soll und welcher die Frage gestellt hat? Diese Informationen dürfte der Stimmenrecorder einwandfrei liefern. Überwachungskameraaufnahmen des Flughafens zeigten, dass die Ram Air Turbine (RAT) während des anfänglichen Steigfluges unmittelbar nach dem Start ausgefahren wurde, so der Bericht weiter. In der Nähe der Flugroute war keine nennenswerte Vogelaktivität zu beobachten. Das Flugzeug habe an Höhe zu verloren, bevor es die Flughafenmauer überflog, steht im Bericht weiter.
Gemäss den Fightrecorder-Daten sanken die N2-Werte beider Triebwerke unter die minimale Leerlaufdrehzahl und die Hydraulikpumpe RAT begann um etwa 08:08:47 UTC mit der Zufuhr von Hydraulikleistung. Laut Flightrecorder ging der Treibstoffabschaltschalter von Triebwerk 1 um 08:08:52 UTC von CUTOFF wieder auf RUN über. Die Einlassklappe der APU begann sich um 08:08:54 UTC zu öffnen, in Übereinstimmung mit der APU-Autostartlogik. Danach, um 08:08:56 UTC, schaltete der Schalter für die Treibstoffabschaltung von Triebwerk 2 ebenfalls von CUTOFF auf RUN um. Wenn der Treibstoffkontrollschalter von CUTOFF auf RUN umgeschaltet werde, während sich das Flugzeug im Flug befinde, werde jedes Triebwerk mit Full Authority Dual Engine Control (FADEC) automatisch gezündet, um mittels Treibstoffzufuhr den Schub wieder herzustellen, schreibt die AAIB. Doch dieses Manöver dauert einige Sekunden.
Es sei beobachtet worden, dass die EGT beider Triebwerke anstieg, was auf ein erneutes Anlassen hindeute, so die AAIB. Doch dies hat den Absturz nicht mehr verhindern können, weil die Leistung nicht ausreichte. Die Aufzeichnung des Flightrecorders stoppte um 08:09:11 UTC. Um etwa 08:09:05 UTC, also nur sechs Sekunden zuvor, sendete einer der Piloten „Mayday, Mayday, Mayday“. Der Towerlotse erkundigte sich nach dem Rufzeichen, er erhielt keine Antwort, beobachtete aber, dass das Flugzeug ausserhalb der Flughafengrenzen abstürzte und aktivierte die Notfallmassnahmen. Um 08:14:44 UTC verliess die Feuerwehr das Flughafengelände zur Rettung und Brandbekämpfung, steht weiter im AAIB-Bericht.
Spricht man mit Fachleuten über den Air-India-Unfall und deren Untersuchung, hört man leider «typisch indisch». Fakt ist, dass der Dreamliner unmittelbar nach dem Abheben einen fatalen Power-Loss beider Triebwerke erlitten hat, wodurch die RAT ausgefahren wurde und der Steigflug abrupt endete. Das AAIB hält auch fest, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Untersuchung keine Empfehlungen für Boeing 787 oder deren GEnx-1B Triebwerke von General Electric herausgegeben würden. Das mag für Boeing und GE beruhigend sein. Und wenn man die Schuld den Piloten gibt – was gemäss aktuellem Stand der Fall ist – wird auch das angeschlagene Image von Air India weniger stark angekratzt. Allerdings rückt in diesem Fall die Ausbildung ihrer Piloten in den Fokus. Der 56-jährige Captain hat gemäss AAIB-Report über 15’600 Flugstunden Erfahrung, davon rund 8600 auf Boeing 787, der Copilot war total 3400 Stunden in der Luft, davon 1128 auf dem Dreamliner. Die Frage bleibt: Weshalb sollte so erfahrenen Piloten ein solcher fataler Fehler passieren – oder war es Absicht? Hansjörg Bürgi
Der AAIB-Zwischenbericht: Preliminary Report VT-ANB

Eine Überwachungskamera zeigt, dass die Ram Air Turbine beim Dreamliner unmittelbar nach dem Abheben ausgefahren wurde, was auf einen totalen Triebwerksausfall hinweist. Foto AAIB