Halb Schiff – halb Flugzeug: wie geht das?

29. Juli 2923: Weder Schiff, noch Flugzeug- aber es fliegt! Zunächst erscheint die Vorstellung grenzwertig über ein Vehicle zu sein, das sowohl im Wasser schwimmen als auch sich aus dem Wasser in die Luft erheben kann und danach majestätisch mit wenig Energie dahingleitet wie ein Albatros. Es ist der Bodeneffekt, der auch über ebenen Flächen ausgenützt werden könnte. In den USA macht sich nun die Firma Regent Craft Inc. für ein Regional Electric Ground Effect Nautical Transport zunutze.

In der Praxis hat das der Aerodynamiker Alexander Lippisch, der schon in den 1930er-Jahren beim Vorgänger des deutschen DLR, dem DFS im Windkanal und später mit seinem „Aerofoil” Gleit-Flugboot festgestellt, was hinter diesem Effekt tatsächlich verbarg. Dicht über dem Boden sind die Strömungsverhältnisse anders als in der freien Luft, da sich weniger Luft zwischen den Flügeln und dem Boden befindet. Der Bodeneffekt ist der reduzierte Luftwiderstand, den die Flügel eines Fluggerätes erzeugen, wenn sie sich oberhalb einer festen Oberfläche befinden (Wasser oder Land) Ein verringerter Luftwiderstand kann während des Starts dazu führen, dass das Fluggerät unter der empfohlenen Steiggeschwindigkeit „schwebt“. Bei einer Höhe von zirka zehn Prozent der Spannweite liegt der induzierte Widerstand bei etwa 50 Prozent. Bei einer Höhe von mehr als der Spannweite ist der Effekt aber nicht mehr relevant. Bei weiterer Beschleunigung der Fluggeschwindigkeit steigt aber der induzierte Widerstand bis eine sichere Steiggeschwindigkeit erreicht werden könnte.

Zwischen dem Abheben von der Oberfläche und dem sich zunehmenden Auftrieb liegt der Bodeneffekt. Auch der deutsche Flugzeugkonstrukteur Hanno Fischer, ein enger Gefährt von Alexander Lippisch arbeitete noch in den 1990er-Jahren an verschiedenen Airfoil-Studien, die unter anderem in verkleinertem Massstab auf dem Bodensee erprobt wurden. Sein Airfish AF-3 ging jedoch nie in Serie. Dennoch verebbte das Interesse an dieser Art Fluggerät nie, weil es viele Vorteile gegenüber konventionellen Schiffstypen trug. Wichtigstes Merkmal war die hohe Geschwindigkeit nach dem Abheben aus dem Wasser gegenüber reinen Wasserfahrzeugen durch den Bodeneffekt, der auch bei hohem Wellengang nachgewiesen war. Das Vehicle gleitet dann trotz Wellen absolut ruhig über dem Wasser. Die maximale Höhe über dem Wasser kann dabei bis die halbe Spannweite eines Flügels bedeuteten.

Den machte sich jetzt das amerikanische Unternehmen Regent Craft Inc. mit ersten Entwürfen zunutze. Vorangegangen ist ein verkleinertes Muster im Massstab 1:4. Regent leitet sich ab aus Regional Electric Ground Effect Nautical Transport. Schon 2025 soll der Seaglider von Regent erste Passagiere befördern. Regent strebt an, die Kosten des regionalen Transports zwischen Küstenstädten drastisch zu reduzieren. Ihr als Seaglider bezeichnetes Vehicle ist ein Flügel-im-Boden-Effekt-Flugzeug, das wenige Meter über der Wasseroberfläche operiert und die hohe Geschwindigkeit eines Flugzeugs mit den niedrigen Betriebskosten eines Bootes verbindet.

Das Schiff/Flugzeug-Vehicle wird nach den gleichen Sicherheitsstandards wie alle modernen Luft- und Wasserfahrzeuge gebaut und soll mit heute vorhandener Batterietechnologie Strecken von bis zu 180 Meilen (290 km) schaffen. Bereits mit der nächsten Batteriegeneration sollen Strecken von bis zu 500 Meilen (800 km) bewältigt werden. Der Vorteil ist, dass ein solches Passagiertransportsystem alle über die vorhandenen Dockinfrastrukturen an Flüssen Seen und offenen Meeren nutzen kann. Das Team aus MIT-ausgebildeten und ehemaligen Boeing-Ingenieuren nutzt Entwicklungspfade für maritime Fahrzeuge, um den emissionsfreien Hochgeschwindigkeits-Seegleiter innerhalb von fünf Jahren auf den Markt zu bringen. Mit zwölf Passagieren bei komfortablen Bestuhlungen soll der Seaglider bis zu 300 km/h Reisegeschwindigkeit über die Fluss- und Küstengewässer bringen. In der Cargoversion können bis zu 1600 kg Fracht befördert werden. Die Angaben über die Geräuschentwicklung sind mit 30 dB unter den Lärmwerten etwas vage auf Flugzeugen oder Hubschraubern bezogen.

Dabei muss das Unternehmen nichts hinter dem Berg halten, denn der Flügel des Seaglider wird mit acht Elektromotoren bestückt, die unter der Flügelvorderkante befestigt werden, die auch dank verteilter Antriebe sehr leise sein werden. Die Spannweite beträgt 19,80 Meter und die Länge des schiffförmig ausgebildeten Rumpfes betragt 17,72 Meter. Anderes als bei Flugzeugen dieser Grössenordnung wird der Seaglider von zwei „Piloten“ geflogen. Das 6500 kg schwere Flugobjekt hat angeblich eine Startleistung von 960 kW, die aus den Elektromotoren der amerikanischen E-Motorenschmiede MagicAll aus Kalifornien kommen. MagicAll ist inzwischen auch als Zulieferer von Airbus bekannt.

Wie alle modernen Cockpits wird auch Regents Seaglider mit modernen Glascockpits und einem Autopiloten ausgestattet. Dazu kommt ein Verkehrsberatungssystem für Luft- und Seefahrt, eine Infrarotkamera und ein vorausschauendes Sonar. Regent ist ein durch Risikokapital finanziertes Startup, dessen Finanzierung von Thiel Capital und JAM Fund geleitet wird. Es wird von weiteren branchenführenden Kapitalgebern unterstützt, darunter Mesa Air Group, Mark Cuban, Y Combinator, Founders Fund, Caffeinated Capital und Fitbit-Gründer James Park. Das Auftragsbuch ist mit über 7,9 Milliarden US-Dollar von Fluggesellschaften und Fährunternehmen, einschliesslich fester Anzahlungen für die ersten Auslieferungen von Seaglidern gut gefüllt.

Der Prototyp im Massstab 1:4 konnte inzwischen erfolgreich erprobt werden. Dies unter der Aufsicht der Küstenwache, die auch auf die Einhaltung der geltenden Regularien achtet (Office of Engineering Standards). Zudem hält man Kontakt zur amerikanischen Luftfahrtzulassungsbehörde FAA (Emerging Concepts & Innovation Group). Für beide Institutionen ist das in den USA natürlich absolutes Neuland. Eine Zulassung kann nur dann erfolgen, wenn alle Kriterien, die auch den Schutz von Mensch und Material garantieren, erfüllt sind. Die Firmenleitung unter Billy Thalheimer, CEO und Mitbegründer CEO Mike Klinker, beide aus der Luftfahrt kommende Ingenieure, haben ein Expertenteam sowohl aus dem Schiffs- als auch aus dem Flugzeugbau zusammengestellt. Unter den Start-ups mit ein- und mehrmotorigen Flugzeuge und eVTOL’s ist mit einem Auftragsbestand von 7,9 Milliarden US-Dollar ist Regent weltweit am allerbesten aufgestellt.    Hellmut Penner

Direkt zur Website von Regent Kraft Inc.

Mit einem Versuchsträger wurden bereits vielversprechende Flugversuche durchgeführt. Foto Regent Craft

Mit einem Versuchsträger wurden bereits vielversprechende Flugversuche durchgeführt. Foto Regent Craft

Die Kabine soll zwölf Passagiere aufnehmen. Foto Regent Craft