Kommentar zur Lufthansa-Rettung
31. Mai 2020: Nachdem die Lufthansa am 30. Mai der von der EU-Kommission verlangten Slot-Abgabe in Frankfurt und München zugestimmt hat, scheint der Weg für das neun Milliarden Euro schwere Stabilisierungspaket geebnet. Das ist gut so, denn eine Insolvenz der Lufthansa hätte unweigerlich massive negative Auswirkungen auf ihre Töchter Swiss und Edelweiss und somit auf den Schweizer Luftverkehr.
Am 25. Mai kam Hoffnung für eine Rettung des Lufthansa-Konzerns auf: Mit einer Teilverstaatlichung und Stabilisierungsmassnahmen in der Höhe von neun Milliarden Euro soll die Airline-Gruppe die Corona-Krise überstehen. Doch in der EU muss die EU-Kommission solchen Rettungspaketen zustimmen. Sie verlangte, dass die Lufthansa-Gruppe als Gegenleistung zur Unterstützung in München und Frankfurt Slots an Low-Cost-Airlines abgibt. Am 27. Mai lehnte der Lufthansa-Aufsichtsrat dies zuerst noch ab, lenkte aber am 30. Mai vernünftigerweise ein. Den Aktionären empfiehlt der Aufsichtsrat an der ausserordentlichen Hauptversammlung am 25. Mai dem Stabilierungspaket zuzustimmen.
So wird die Lufthansa verpflichtet, in Frankfurt und München bis zu 24 Slots abzugeben, womit es Konkurrenten – die keine Staatshilfe erhalten haben – möglich wird bis zu vier Flugzeuge zu stationieren und täglich damit drei Starts und drei Landungen auszuführen. Diese Option gilt anderthalb Jahre. Falls keine neuer Lufthansa-Konkurrent davon Gebrauch macht, können auch bereits vorhandene Mitbewerber davon profitieren. Nicht erwähnt wurde, um welche Zeitfenster es sich genau handelt, jedoch dürften auch attraktive Morgen- und Abendslots darunter sei, bei drei Rotationen pro Tag. Doch im Moment ändere sich für Lufthansa nichts, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die Slotabgabe wird erst kommen, wenn alles wieder normal laufe.
Alles in allem scheint dies ein durchaus gangbarer Kompromiss zu sein, den die mächtige Lufthansa-Gruppe sehr wohl verkraften kann. Es wird sich zeigen, ob diese Slots überhaupt von einer Low-Cost-Airline benutzt werden, denn in den nächsten anderthalb Jahren dürfte das Verkehrsaufkommen nach wie vor viel geringer als in der Zeit vor der Corona-Krise sein. Und Wettbewerb – dies ist der Grund für die EU-Auflagen – nützt schliesslich den Passagieren am meisten.
Für die Auflagen der EU-Kommission spricht auch, dass die Lufthansa-Gruppe seit dem Verschwinden von Air Berlin insbesondere in Deutschland auf vielen Strecken Monopolist ist und so die Preise hochhalten kann. Doch dieselbe EU-Kommission hat sich nie um die staatlichen Hilfen von Italien an die seit Jahren unrentable Alitalia gekümmert und auch keinen Einwand erhoben als Italien bereits zu Beginn der Corona-Krise eine erneute Rettung des maroden Staatscarriers angekündigt hat. Auch bei Frankreichs Rettungspaket für Air France, bei staatlichen Beihilfen für SAS und Finnair, hat „Brüssel“ keine Auflagen gemacht – bei Lufthansa dagegen schon.
Diese Ungleichbehandlung der Airline-Industrie in Europa ist nichts Neues. Gemäss EU-Gesetzen wäre es nämlich seit Jahren untersagt, mit Staatsgeldern Fluggesellschaften zu unterstützen. In der Vor-Corona-Zeit hat jedoch die bereits erwähnte Alitalia regelmässig staatliche Subventionen erhalten, die polnische LOT gehört dem Staat, ebenso Air Baltic und auch TAP Air Portugal ist zu 50 Prozent in Staatsbesitz. Unweigerlich werden zur Rettung der verschiedenen Airlines nicht nur in Europa, sondern weltweit die staatlichen Einflüsse auf die Fluggesellschaften massiv zunehmen.
Das ist grundsätzlich schlecht, denn der Staat ist kein guter Co-Pilot, aber in vielen Fällen derzeit wohl der einzige gangbare Weg. Zudem stärken die europäischen Rettungspakete die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Airlines auch gegenüber den Staatscarriers vom Golf und Turkish Airlines. Diese mischen derzeit sehr aktiv in der Luftfrachtszene mit und es dürfte nur eine Frage der Grenzöffnungen sein, bis sie auch den Passagiermarkt wieder mit Dumpingpreisen überschwemmen.
Dass staatliche Subventionen die Low-Cost-Airlines, welche in der aktuellen Krise mit dem grössten Finanzpolster dastehen, auf die „Palme treiben“, ist verständlich. So hat der umtriebige Ryanair-Chef Michael O’Leary bereits angekündigt, dass er sich gegen das Lufthansa-Rettungspaket wehren will. Das ist sein gutes Recht und er tut dies aus einer Position der Stärke: Der Online-Plattform Kryptoszene.de zufolge ist Ryanair zehnmal stabiler unterwegs als Lufthansa, denn Ryanairs Börsenwert ist mit 12,1 Milliarden Euro 194 Prozent grösser als jener der Lufthansa. Die liquiden Mittel bei Lufthansa reichen gemäss Kryptoszene.de nur noch für zehn Wochen, bei Ryanair dagegen für 99 Wochen!
Am 29. Mai haben sich auch die Gewerkschaften der Lufthansa-Group-Airlines mit einem offenen Brief an die EU-Kommission gewendet: Sie forderten, dass auf die Abgabe von Slots an Low-Cost-Airlines zu verzichten sei, weil so auf Kosten des Staates deren intensives Sozialdumping, die steigende Scheinselbstständigkeit bei den Mitarbeitern sowie eine massive Aushöhlung von Arbeitsstandards gefördert werde. Das ist bei allem Verständnis doch etwas kurz gegriffen, denn bei weitem fliegen nicht alle Low-Coster mit scheinselbständigen Piloten oder missachten die Rechte ihrer Mitarbeitenden, wie dies ihnen so unterstellt wird. Wir erinnern uns, dass vor wenigen Jahren Lufthansa-Piloten, welche zu den am besten bezahlten in Europa gehören, mehrmals per Streik Lohnforderungen gestellt und so die Lufthansa massiv geschwächt haben. Ihre Anschwärzung der Low-Coster ist nun fehl am Platz.
Niemand weiss, wie die Airline-Industrie aus ihrer grössten Krise der Geschichte wieder hinausfliegt. Doch eines ist heute schon sicher: In naher Zukunft werden viel weniger Piloten, Flight Attendants und anderes Luftfahrt-Personal in der gesamten Branche gebraucht. EasyJet hat bereits den Abbau von bis zu 30 Prozent ihrer 15’000 Angestellten bekannt gegeben. Und Zehntausende von Jobs in der gesamten Airline-Industrie stehen auch nach erfolgreichen Rettungspaketen auf dem Spiel. Nach der Corona-Krise wird die Airline-Welt eine andere sein als zuvor. Deshalb bringen Grabenkämpfe reichlich wenig, denn verloren haben bereits jetzt schon alle Fluggesellschaften. Die Hoffnung bleibt, dass möglichst bald, möglichst viele Leute wieder in Flugzeuge steigen und fliegen. Nur so können dereinst auch die staatlichen Kredite zurückbezahlt werden und die Airlines wieder Geld verdienen – doch bis dahin bläst ein starker Gegenwind. Hansjörg Bürgi