Klare und deutliche Worte von Carsten Spohr an Lufthansa-Hauptversammlung
01. Mai 2020: Die Deutsche Lufthansa AG führt am 5. Mai ihre diesjährige Hauptversammlung virtuell durch. Die Rede des Vorstandsvorsitzenden Carsten Spohr ist bereits am 30. April veröffentlicht worden. Er bezeichnet die aktuelle Krise als stärksten globalen Wirtschaftseinbruch seit 1930, wodurch der Luftverkehr seine grösste Krise aller Zeiten erlebt. SkyNews.ch fasst hier die Rede mit den wichtigsten Aussagen zusammen:
Der globale Luftverkehr erlebt die derzeit grösste Krise aller Zeiten. Praktisch überall bestehen Einreiseverbote und Restriktionen. Dadurch befinde sich auch die Lufthansa Gruppe im Ausnahmezustand. Und das völlig unverschuldet, so Carsten Spohr. „Nach harten Jahren der Modernisierung haben wir die besten Ergebnisse unserer Unternehmensgeschichte erzielt. Drei Jahre lang in Folge. Nun werden alle unsere Anstrengungen von einem einzigen globalen Ereignis bedroht. Das hätte sich niemand je vorstellen können“, fährt er fort.
Die Lufthansa stehe vor der grössten Herausforderung der jüngeren Geschichte: „Wir kämpfen um die Zukunftsfähigkeit dieses Unternehmens und um die Zukunft der rund 130’000 Mitarbeiter der Lufthansa Group. Wir ringen darum, möglichst viele von ihnen an Bord zu behalten.“ Die guten Ergebnisse von 2019 rücken dabei in den Hintergrund: Die Lufthansa Gruppe hat einen bereinigten Ebit von gut zwei Milliarden Euro bei einem Umsatz von rund 36,4 Milliarden Euro erwirtschaftet und 145 Millionen Passagiere transportiert, das sind rund 350’000 pro Tag. Heute sind es noch gut 3000 Pro Tag…
In diesen Tagen werde auch über die Zukunft der Lufthansa entschieden. Es gehe darum, ob mit Unterstützung der Regierungen der vier Heimatländer Deutschland, Schweiz, Österreich und Belgien eine Insolvenz vermieden werden könne. Das Krisenmanagement hat für die Rettung drei Phasen definiert: Die derzeitige „Grounding Phase“, von 760 Flugzeugen stehen rund 700 am Boden. Die Passagierzahlen liegen bei einem Prozent des Vorjahresniveaus, nur die Nachfrage nach Frachttransporten sei derzeit hoch. Lufthansa Technik rechnet für das Gesamtjahr 2020 mit einem Rückgang des Arbeitsvolumens von 60 Prozent. Die Produktion von Mahlzeiten bei der LSG ist um 95 Prozent zurückgegangen. 28 Betriebsstätten wurden bis auf weiteres geschlossen. Carsten Spohr: „Wir erwirtschaften so gut wie keine Einnahmen mehr. Die Kosten für Personal, Material, Mieten oder Treibstoffsicherung laufen weiter. Nach drei Rekordjahren verlieren wir derzeit pro Stunde allein operativ ungefähr eine Million Euro unserer Liquiditätsreserven.“ Aktuell betrage die Liquidität des Konzerns noch mehr als vier Milliarden Euro. Über 80’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Lufthansa Group sind in Kurzarbeit.
Wann die Phase des Neustarts, in welcher der Flugverkehr langsam wieder hochgefahren werden kann, beginne, wisse niemand. Carsten Spohr weiter: „Wir richten uns darauf ein, dass dieser Sommer gewissermassen am Boden stattfindet. Frühestens ab Herbst hoffen wir auf einen spürbaren Neustart. Aber es wird eine sehr langsame Anlaufphase sein. Erst für 2023 erwarten wir, dass die globale Nachfrage ihr neues Gleichgewicht gefunden hat. Neu, weil es ein Gleichgewicht auf niedrigerem Niveau sein wird. Daran richten wir unsere Planungen und Strategien aus.“
Um gestärkt aus der Krise herauskommen, arbeitet die Lufthansa Group an einer strukturellen Neuausrichtung: Alle Flugbetriebe der Lufthansa Group werden verkleinert. Die laufenden Restrukturierungsprogramme bei Austrian Airlines und Brussels Airlines werden weiter verschärft. Der Flugbetrieb der Germanwings wird zwei Jahre früher als geplant geschlossen. Zum Neustart wird das Tourismussegment gebündelt und weiter ausgebaut. Nach der Krise wird die Nachfrage hier stärker steigen, als bei den Geschäftsreisen. Im Zuge dessen sollen die vier Flugbetriebe, welche bislang die Eurowings-Langstrecken operieren, zu einem neuen touristisch ausgerichteten Flugbetrieb zusammengeführt werden.
Die Phase der neuen Normalität – „the new normal“: das ist der Arbeitstitel für die Zeit nach der Krise. Carsten Spohr weiter: „Die Komplexität hinter all diesen Massnahmen ist enorm hoch. Auf der einen Seite steht die Ungewissheit, wann der operative Betrieb wieder hochgefahren werden kann. Gleichzeitig muss die gesellschaftsrechtliche Dimension beachtet werden: das heisst, es könnte zu unterschiedlichen staatlichen Unterstützungsmodellen in den jeweiligen Heimatmärkten der Lufthansa Group kommen.“ Man spreche mit der Bundesregierung und der KFW intensiv über Liquiditätshilfen. Zusätzlich verhandle man mit den Regierungen in Österreich und Belgien über Hilfen für Austrian Airlines und Brussels Airlines. Für die Swiss und die Edelweiss gibt es bereits die Zusage der Schweizer Regierung über einen weitgehend durch die Schweiz gesicherten Kredit. Die Zustimmung des Parlaments steht noch aus, wird aber für Anfang Mai erwartet.
„Um wettbewerbsfähig zu bleiben, wollen wir – egal in welchem Szenario – die Lufthansa Group und die europäische Airline Gruppe zusammenhalten. Das ist unser übergreifendes Ziel“, so Carsten Spohr weiter. Wenn die Lufthansa Gruppe im globalen Wettbewerb gegen die jeweils drei grossen Airline-Gruppen in USA, China und am Golf bestehen wolle – dann nur als europäische Airline-Gruppe, sagt er und fährt fort: „Vor allem dürfen wir uns nicht überschulden. Das würde uns über Jahre lähmen. Wir müssen schon heute an einem Plan arbeiten, wie wir staatliche Kredite und Beteiligungen so schnell wie möglich wieder zurückführen können. Die Politik ist aufgerufen, darauf zu achten, dass Hilfen nicht zu einer Schieflage im internationalen Wettbewerb führen.“
Insbesondere wenn Wettbewerber aus den USA, China oder auch die Low Cost Carrier sich jetzt mit staatlicher Hilfe gesund sanieren, sei es wichtig, dass der internationale Wettbewerb nicht durch Art und Umfang unterschiedlicher Staatshilfen verzerrt werde. Carsten Spohr: „Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt: Wer nicht wettbewerbsfähig ist, schafft es auf Dauer auch mit staatlicher Hilfe nicht.“
Lufthansa wird nach der Krise eine andere und kleinere Lufthansa sein. Carsten Spohr:“ Wir werden unsere Flotte um etwa 100 Flugzeuge reduzieren. Dadurch haben wir rechnerisch 10’000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu viel an Bord. Betriebsbedingte Kündigungen können wir nicht mehr ausschliessen. Es sei denn – wir schaffen es mit innovativen Teilzeitmodellen, mit dieser einmaligen Lufthansa Solidarität, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen an Bord zu behalten.“ Hansjörg Bürgi