Mutiges oder verzweifeltes Airline-Projekt in Bern?

Mit einer öffentlichen Geldsammlung soll das neue virtuelle Berner Airlineprojekt «flyBAIR» finanziert werden. Somit wird sich zeigen, ob die Berner Bevölkerung gewillt ist, Investitionen für Flüge ab dem Belpmoos zu tätigen. Ein mutiges Projekt oder eine Verzweiflungstat des Berner Flughafens, der seit dem Grounding von SkyWork Airlines Ende August 2018 keine Linienflüge mehr anbietet?

Ab Mai 2020 sollen ab Bern-Belp wieder täglich Sommerferienflüge abheben. Das erste Ziel ist Palma de Mallorca (mehrere Flüge pro Woche), dann folgt ein attraktives und vielfältiges Angebot: nach Menorca, Jerez, Olbia, Preveza, Rhodos, Kos und Kreta (jeweils ein bis Flüge pro Woche). Weiter sind zwei Flüge pro Woche von Sion nach Mallorca geplant. Diese Charterverbindungen sollen durch eine Embraer 190 der deutschen WDL (neu nennt sie sich German Airways) in Zusammenarbeit mit mehreren Reisebüros angeboten werden. Aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit dürfte dieses Angebot durchaus auf eine gute Nachfrage stossen, wenn die Preise stimmen.

Ab Herbst 2020 soll dann Bern mit der neuen virtuellen «flyBAIR» linienmässig mit München, Amsterdam oder London verbunden werden – ebenfalls mit WDL, dann aber mit einer Dash8-Q400. Welche der drei Städteanbindungen es sein werde, hänge von der Nachfrage und den Slots ab und werde in den nächsten Monaten evaluiert, teilte Bern Airport weiter mit.

«flyBAIR» setzt eigenen Angaben zufolge auf ein neues, schlankes Geschäftsmodell. Es handle sich um ein Gemeinschaftsprojekt mit verschiedenen Partnern, eine sogenannte virtuelle Airline: Die Reiseveranstalter wie Aaretal Reisen, Belpmoos Reisen, Buchard Voyages , Hotelplan, TUI und VT Vacances buchen saisonale Flugverbindungen an Destinationen, die sich in den letzten Jahren ab Bern einer grossen Nachfrage erfreuten. «flyBAIR» ist für die Vermarktung zuständig, Lions Air kümmert sich um das operative Geschäft und German Airways verleast die Flugzeuge. Dominik Wiehage, CCO German Airways: «Mit flyBAIR werden neue Wege beschritten. Wir werden unsere langjährige Erfahrung im Luftverkehr in diese Kooperation einbringen.» Diese Zusammenarbeit ermögliche es, die Fixkosten tief zu halten und Synergien zu nutzen, heisst es weiter. Es würden keine eigenen Flugzeuge gekauft und nur so viel Kapazität abgerufen, wie nachgefragt wird.

Dies erinnert auch an das Ende 2017 gescheiterte Projekt der virtuellen irischen Airline Powdair, welche Skitouristen ins Wallis fliegen wollte. Sie wirbelte im Wallis viel Staub auf und konnte Flughafen und Stadt begeistern, löste sich aber kurz vor dem geplanten Start in Luft auf. Die für die Flüge vorgesehene dänische Airline musste daraufhin den Flugbetrieb einstellen.

Urs Ryf, CEO der Flughafen Bern AG und Verwaltungsrat von «flyBAIR», erklärt in der Medienmitteilung: «Die schlanke Struktur, die verhältnismässig geringen Fixkosten und die kompromisslose Ausrichtung auf die Nachfrage – das unterscheidet flyBair von allen früheren Projekten. Wir haben aus Fehlern der Vergangenheit gelernt. Das ist keine Erfolgsgarantie, aber es sind wesentliche Faktoren, die zum Gelingen des Projekts beitragen.»

Das Start-up flyBAIR ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Berner Flughafens – am Anfang. Das Management besteht aus dem Verwaltungsratspräsidenten Urs Sieber, VR André Lüthi (Group President Globetrotter), VR Urs Ryf (CEO Flughafen Bern) und dem Geschäftsführer José González (Tourismus- und Regionalaviatik-Experte); alle sind seit Jahren mit Bern-Belp verbunden. Die Bern-Verbundenheit spiegelt sich auch in der Namensgebung: Der Name setzt sich aus den drei Wörtern Fly, Bern und Air zusammen. Englisch ausgesprochen verweist der Name zudem auf das Berner Wappentier – den Bären. «Das ist ein Projekt von Berner für Berner/innen» so André Lüthi, Verwaltungsrat der neuen Airline. «Jetzt haben wir alle die einmalige Chance, um zu zeigen, dass wir in Bern einen sinnvollen und ökologisch vertretbaren Publikumsverkehr haben wollen: als Tourismusregion, als Bundeshauptstadt mit Hub-Anbindung in die Welt». Für eine ideale Hub-Anbindung alleine reicht allerdings eine Flugverbindung nicht, Codeshare-Agreements mit den Hub-Carriers sind ebenso wichtig.

Die Finanzierung soll über Crowdfunding in der Berner Bevölkerung erfolgen. Der Flughafen Bern hat die flyBAIR AG bei der Gründung mit 250‘000 Franken dotiert. Der Kapitalbedarf beträgt eigenen Angaben zufolge rund 2,5 Millionen Franken – für den Aufbau einer neuen Linienairline scheint dies eher knapp bemessen. Ist dann die Nachfrage genügend gross, soll nach zwei Jahren mit einer schwarzen Null abgeschlossen und anschliessend ein positiver Cashflow erzielt werden, heisst es weiter. «Statt auf den Kantonsbeitrag zu warten, haben wir uns für eine unternehmerische Lösung entschieden», führt Beat Brechbühl, der Verwaltungsratspräsident des Flughafens, aus. «Der Flughafen geht in die Vorleistung und ins Risiko und bietet den Bernerinnen und Bernern ein vielfältiges Sommer- und Herbstflugangebot sowie später eine regelmässige Hub-Anbindung an. Jetzt liegt es an allen, die wieder ab Bern fliegen wollen, den Tatbeweis zu erbringen. Es ist nun existenziell, dass sie sich am Crowdfunding beteiligen. Ob mit grossen oder kleinen Beträgen oder mit Ticketkäufen von und nach Bern-Belp. Es ist vielleicht unsere letzte Chance, den Publikumsverkehr am Leben zu erhalten.»

Ziel ist es, innerhalb von 30 Tagen eine Million Franken zu sammeln. Die gesammelte Summe kann online auf der Website eingesehen werden. Ab 250 Franken erhält man eine Aktie, ab 2500 Franken einen Flug in den ersten zwei Jahren, mit 10’000 Franken jährlich vier Flüge in den ersten zwei Jahren. Prominente Berner Persönlichkeiten wie Nicole Loeb, Pascal Berclaz oder Nina Burri sind gemäss Medienmitteilung bereits an Bord. Auf der Website www.flybair.ch und auf Social Media setzen sie sich für das Fliegen von und nach Bern ein. Auch der grüne Stadtpräsident Alec von Graffenried begrüsst die Rückkehr des Linienflugverkehrs auf dem Flughafen Bern. Good Luck BRN!                                          Hansjörg Bürgi

www.flybair.ch

German Airways, die frühere WDL, präsentierte in Bern die Embraer 190 D-AJHW, sie wird nächsten Sommer Charter ab Bern fliegen. Foto Regina Gerber

Geschäftsführer von flyBAIR ist José González. Foto Regina Gerber

Urs Ryf ist CEO der Flughafen Bern AG und Verwaltungsrat von «flyBAIR». Foto Regina Gerber

Das Sommercharter-Angebot ab Bern 2020.