Dübendorf: Plafond bei 20’000 Flugbewegungen
18. Mai 2021: Auf dem Flugplatz Dübendorf eröffnet sich nach Ansicht eines hochrangigen Expertengremiums eine für die Schweiz und den Kanton Zürich einmalige Chance, bis 2050 einen international führenden und wirtschaftlich tragfähigen Standort für innovative und CO2-neutrale aviatische und terrestrische Mobilität aufzubauen. Die Experten schlagen vor, den heutigen Militärflugplatz und seine Infrastruktur mit dem bereits in Entwicklung befindlichen Innovationspark Zürich zu einem zivilen Forschungs-, Zertifizierungs-, Test- und Werkflugplatz eng zu verzahnen. Luftwaffe, Blaulichtorganisationen oder Wartungsbetriebe können das Areal weiterhin nutzen. Der Grossteil des Flugplatzes soll unbebaut bleiben und der Luftverkehr bei strikten Emissionsauflagen auf 20’000 Bewegungen plafoniert werden, heisst es in der Medienmitteilung.
Die Experten legen dazu ein detailliertes Konzept vor, das sowohl planerische als auch betriebliche Aspekte beleuchtet und aufzeigt, wie die Transformation unter Führung des Kantons Zürich auch wirtschaftlich erfolgreich durchgeführt werden könnte. «Wir erachten es als strategische Frage, welchen Stellenwert der Flugplatz und seine Infrastruktur zukünftig in der Schweizer Sicherheits-, Aviatik- und Forschungsstrategie erhalten soll», sagt Stefan Conrad, ehemaliger COO des Flughafens Zürich und einer der Autoren der Studie. Die bisherigen Diskussionen seien stark durch Partikularinteressen geprägt gewesen und hätten sich zu sehr an bestehenden Nutzungen oder an wirtschaftlich und politisch unrealistischen Wunschvorstellungen orientiert. «Digitalisierung, Hybridisierung und die Notwendigkeit, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Lösungen im Bereich der Mobilität zu finden, werden die bestimmenden Herausforderungen der Zukunft sein», zeigt er sich überzeugt. «Dübendorf kann zu einem führenden Forschungs- und Entwicklungsstandort für CO2- neutrale Mobilitätslösungen werden».
Stefan Conrad steht dem unabhängigen Verein Think Tank Airfield City Dübendorf, Zürich vor, der von einer Gruppe aus Aviatik-Experten im Spätherbst 2020 gegründet wurde, nachdem der Bundesrat die Konzession für den Betrieb eines Flugplatzes für Geschäftsfliegerei zurückgezogen und der Kanton das Planungsverfahren für den Innovationspark Zürich (IPZ) neu lanciert hatte. Im Vorstand dabei sind neben Conrad auch der frühere Direktor des Bundesamts für Zivilluftfahrt, Peter Müller, und der ehemalige Luftwaffenchef, Korpskommandant a.D. Markus Gygax, die ebenfalls Autoren der vorliegenden Studie sind.
Laut Peter Müller hätten Bund und Kanton zwar den Willen bekundet, mit dem im Norden des heutigen Militärflugplatzes Dübendorf entstehenden IPZ eine auch international führende Rolle bei der anwendungsorientierten Forschung und Entwicklung anzustreben. Für den eigentlichen Militärflugplatz und dessen aviatische Infrastruktur aber gebe es bis jetzt noch keine neue Vision. Fest stehe lediglich, dass der Flugplatz in einen zivilen Betrieb unter Führung des Kantons überführt werden solle. «Die Entwicklung eines Mobilitätsclusters für aviatische und terrestrische Anwendungen in enger Verzahnung mit dem Innovationscluster IPZ ist nicht nur für den Kanton Zürich und die Region, sondern auch für die Schweiz von strategischer Bedeutung», betont er. Die Möglichkeit zur Erforschung, Erprobung, Zertifizierung, Wartung und Betrieb von emissionsneutralen Flugkörpern und terrestrischen Mobilitätslösungen in unmittelbarer Nähe zu führenden Hochschulen und Universitäten und Entwicklungsabteilungen von Firmen an einem Ort sei in dieser Form weltweit fast einzigartig.
Gleichzeitig könne mit der Ausrichtung auf einen Forschungs-, Zertifizierungs-, Test- und Werkflugplatz auch sichergestellt werden, dass den Bedürfnissen der auf dem Flugplatz heute schon ansässigen Mieter und den Interessen der lokalen Bevölkerung und der Anrainergemeinden Rechnung getragen werde. Der Vorschlag stehe auch nicht im Widerspruch mit den Interessen und Bedürfnissen der Luftwaffe als heutige Betreiberin des Flugplatzes, ist Markus Gygax überzeugt. «Es ist aus betrieblichen, politischen und strategischen Gründen im Gegenteil sehr wünschenswert, dass die Luftwaffe langfristig auf dem Flugplatz stationiert bleibt, auch wenn das Areal wie vom Bund gewünscht in einen zivilen Betrieb überführt wird und sich für Forschung und innovative Nutzungen öffnet. Es hat mehr als genug Platz, und auch die Luftwaffe profitiert von innovativen neuen Technologien, etwa im Bereich selbstfliegender Drohnensysteme.»
Das vom Expertengremium ausgearbeitete Betriebskonzept plafoniert den Luftverkehr auf 20’000 Starts und Landungen pro Jahr, bei stabilen oder sogar sinkenden Lärmemissionen im Rahmen von Umweltschutzgesetzgebung und Lärmschutzverordnungen. Zudem sollen die bestehenden Frei- und Naturflächen des Dübendorfer Rieds weitestgehend unberührt bleiben und grosszügige Zugänge für die Bevölkerung geschaffen werden. Um möglichst grosse Synergien mit dem Innovationspark realisieren zu können, empfehlen die Autoren dem Kanton, die Arealentwicklung längerfristig unter eine öffentlich-private Trägerschaft zu stellen, bei getrennten Betriebsorganisationen für Flugplatz und Innovationspark. Es brauche ein zweckmässiges Zusammenwirken zwischen privaten Investoren und der öffentlichen Hand.
Der Verein rechnet für den neu als Mobilitätscluster ausgestalteten Flugplatz mit einem anfänglichen Kostendeckungsgrad von maximal 60 Prozent; es werde seine Zeit dauern, bis Betrieb und Unterhalt kostendeckend seien, erläutert Conrad. Bis dahin und zur Sicherung der Transformation müsse daher auch die öffentliche Hand eine finanzielle Unterstützung leisten, sei es in Form von Defizitbeiträgen, sei es in Form von kostenlosen Baurechten. «Auf betrieblicher Ebene gehen wir über eine Laufzeit von zehn Jahren von ungefähr zwei Millionen Franken pro Jahr aus, die seitens der öffentlichen Hand beizusteuern wären. Danach sind Betrieb und Unterhalt selbsttragend.» Bund, Kanton Zürich und Anrainergemeinden profitierten umgekehrt aber von einer Stärkung des Forschungs- und Exzellenzstandortes im internationalen Wettbewerb, von einer zusätzlichen Steigerung der direkten und indirekten Wertschöpfung und von der Schaffung von Tausenden neuer Arbeitsstellen. Zudem wird das Gelände weitgehend in seiner heutigen Form erhalten und so als strategische Reserve für die Nutzung durch künftige Generationen gesichert, so die Autoren.
Sie empfehlen den politischen Behörden des Kantons Zürich und den zuständigen Stellen des Bundes, jetzt die entsprechenden organisatorischen, planerischen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, diese Vision Realität werden zu lassen. «Der Kanton hat klar eine Führungsrolle in diesem Prozess. Mit dem Synthesebericht zur planerischen Weiterentwicklung des IPZ, den der Zürcher Regierungsrat im letzten Jahr in Auftrag gegeben hat, wird derzeit eine Auslegeordnung geschaffen. Wir wollen mit unserer Expertise für den Bereich Aviatik und Flugplatz rechtzeitig einen sachorientierten Beitrag leisten», erläutert Conrad. Mit der Airfield Science City schlösse sich auch der Bogen zu der mehr als 100 Jahre langen Gesichte des Flugplatzes Dübendorf, die seit jeher untrennbar mit aviatischer Innovation verbunden gewesen sei, betonen die drei Experten. Es gelte, diesem historischen Erbe auch in Zukunft gerecht zu werden. pd
Die Studie ist als PDF verfügbar unter http://www.airfield-science-city.ch