Fluglotsen-Freispruch – hoffentlich mit Signalwirkung

21. Juli 2022: Das Schweizer Bundesgericht hat im letzten hängigen Strafverfahren im Zusammenhang mit einem glimpflich abgelaufenen Vorfall einen Freispruch ausgesprochen. Das Urteil, die Begründung, vor allem aber die anstehende Gesetzesänderung im Sinne der «Just Culture» lässt auf eine neue Ära in der Schweizer Rechtsprechung hoffen – das schreibt HelvetiCA, die Vereinigung der Schweizer Flugverkehrsleiter.
Am 22. August 2012 war es um 16.15 Uhr am Flughafen Zürich zu einer Annäherung zwischen einer auf der Piste 28 startenden Saab 2000 der Darwin Airline und dem einmotorigen Sportcruiser HB-WYC auf einem Trainingsflug gekommen, das in der Pistenachse der kreuzenden Runway 16 flog, aber auf Anweisung des Tower-Lotsen noch vor dem Pistenkreuz abdrehte. Der Schweizer Verband der Flugverkehrsleitenden HelvetiCA nimmt das Urteil des Schweizer Bundesgerichts vom 29. Juni 2022 zur Kenntnis, das den Flugverkehrsleiter freispricht.

Nach der Verurteilung des wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs angeklagten Flugverkehrsleiters durch das Bezirksgericht Bülach hatte das Obergericht des Kantons Zürich den Mann in zweiter Instanz freigesprochen. Das Bundesgericht bestätigt nun das Urteil des Obergerichts. Der Flugverkehrsleiter hatte korrigierend in das Geschehen eingegriffen, bevor eine Gefährdung konkrete Gestalt annehmen konnte. Eine erhöhte abstrakte Gefährdung ist für das Gericht in diesem Fall ebenso irrelevant wie hypothetische Geschehensabläufe oder die Frage, ob ein Zufall oder das Verhalten der Beteiligten Schlimmeres verhindert habe.
Nach dem Dafürhalten von HelvetiCA ist die Argumentation interessant; die Haltung dahinter scheint sich von früheren Urteilen zu unterscheiden. Auch ist es nach mehreren Verfahren gegen Flugverkehrsleitende im Zusammenhang mit glimpflich abgelaufenen Vorfällen seit Jahren nicht mehr zu einer Anklage gekommen. Ob man von einem Umdenken im Schweizer Rechtswesen sprechen kann, bleibt zu hoffen, so HelvetiCA. Sicher sei, dass der aktuell in Ausarbeitung befindliche Vorschlag, wie das Prinzip der «Just Culture» im Schweizer Recht verankert werden könne, zu einer grundlegenden Veränderung führen dürfte. Künftig sollen Mitarbeitende in hochsicherheitsrelevanten Bereichen (Aviatik, Gesundheitswesen und andere) einen Vorfall, bei dem kein grober Verstoss vorliegt, melden können, ohne dass sie juristische Konsequenzen zu befürchten haben. Wie die Erfahrung in anderen Staaten zeige, werde dies einen positiven Einfluss auf die Sicherheit haben. HelvetiCA unterstütze dieses Prinzip seit Jahren und arbeitet auf dessen Umsetzung hin. pd / eb www.helvetica.aero