Weltweit erste Musterzulassung für eVTOL in China

29. Oktober 2023: In China wurde Mitte Oktober die Zulassung des ersten eVTOLs gross gefeiert. In der Tat ist EHangs Musterzulassung für einen Zweisitzer mit 16 Antriebsmotoren eine kleine Sensation, denn unter den etwa 200 weltweiten VTOL-Mitbewerbern hat es das in Guangzhou beheimatete Unternehmen geschafft, aus Spielzeug- und Fotodrohnen ein manntragendes Fluggerät zu entwickeln, und noch vor allen Mitbewerbern aus der ganzen Welt.

EHang 216-1, wie das Muster bezeichnet wird, hat einen zum Teil steinigen Weg hinter sich. Vor zwei Jahren wurde die Musterzulassung für das Nachfolgemuster des ursprünglich mit acht offenen Rotoren entwickelte Ehang 184 bei der chinesischen Zulassungsbehörde CAAC beantragt. Schon EHang 184 konnte mit über 1000 Testflügen den Nachweis erbringen, dass man aus der abgeleiteten Drohnentechnik durchaus autonomes Fliegen auf Passagierdrohnen übertragen kann. Angeblich sind davon 30 bis 40 Einheiten gefertigt worden. Das Geheimnis ist die Steuer- und Regelungstechnik, die das an sich flächenlose, indifferente Fluggerät stabil in der Luft hält. Das ist etwa vergleichbar mit einer Kugel auf einer positiv gewölbten Platte. Dabei werden die mit festen Propellern versehenen Motoren so angesteuert, dass sie mit unterschiedlichen Phasen eines Fluges vom Start bis zu Landung jeweils so schnell oder langsam drehen, wie es der jeweiligen Flugphase entspricht. Jede Art von Ablenkung erkennen die Sensoren dabei unmittelbar und geben über einen Rechner die Korrekturwerte an die einzelnen Motoren. Das gilt für alle Arten von VTOLs.

Mit 100 km/h konnte EHang 184 bei einer maximalen Flugdauer von 23 Minuten in der Luft bleiben. Das waren die Mindestforderungen für ein Fluggerät, um Passagiere aus Ballungsgebieten an nahegelegene Airports zu bringen. EHang 184 war freilich nur ein Vorgängermuster, das noch ohne Passagiere geflogen ist. Und mit einer Reichweite von nur 16 Kilometern zeigte man sich auch nicht zufrieden. Deswegen wurden intern die Entwicklungen weitergetrieben, während zwischenzeitlich mit kleinen Drohnen durch Massenproduktion gutes Geld verdient wurde.

Die Erkenntnis von EHang lag darin, aus vier Auslegerarmen mit je zwei Antriebsmotoren mit je 106 kW aus Stabilitäts- und Sicherheitsgründen auf acht Antriebsarme, wie das jetzt zugelassene Muster EHang 216-S zeigt, zu erweitern. Mit einer Reichweite von jetzt 35 Kilometern und einer Flugdauer von 21 Minuten bei bis zu 130 km/h ist auch die Nutzlast von 100 kg auf 260 kg gestiegen, was zwei echten Passagieren mit Gepäck entspricht. Testweise wurden zunächst je ein freiwilliger Passagier und später auch zwei Passagiere geflogen. Ein Vorgang, der weder in der Schweiz noch in anderen westlichen Ländern denkbar gewesen wäre.

Hier setzt auch die Kritik westlicher Beobachter an, die das Vorgehen der chinesischen Zulassungsbehörde mit solchen Praktiken in Frage stellen. So hat man keine Einsicht in die Vorgehensweise dieser CAAC und EHang könnte es auch schwer haben, mit seinem jetzigen Muster eine europäische oder amerikanische Zulassung zu erhalten. Dennoch zeigt man sich optimistisch, was den weltweiten Absatz seiner Drohnen betrifft. Immerhin konnte man mit 40’000 Testflügen die Sicherheit des autonomen Luftfahrzeugs nachweisen.

Längstens hat sich EHang auch an der New Yorker Nasdaq börsennotieren lassen, setzte diese aber vor einigen Wochen ab und liess die Anleger rätseln, wie es denn mit dem Unternehmen weiterginge. Die Überraschung kam dann unmittelbar nach der Meldung über die Zulassung. EHang-Aktien durften wieder frei gehandelt werden und der Kurs stieg kurzzeitig um bis zu 40 Prozent. Eine sehr ungewöhnliche Aktion. Im Durchschnitt hat die Aktie aber um 10 Prozent an Gewinn zugenommen. Preislich dürften die Drohnen chinesischer Bauart mit geschätzten 300’000 US-Dollar fast unschlagbar sein.

Das Unternehmen ist sich sicher, auf richtigem Kurs zu liegen. Rechnet man innerhalb China mit bis zu 1000 benötigter Drohnen dieses Typs, so spekuliert man auf Überseemärkten wie Japan, Malaysia und Indonesien auf weitere 1200 Einheiten.  Längstens hat sich der Hersteller auch Freiraum aufgebaut, um etwa Risiken einer total eigenen Fertigung zu minimieren. So hat man eine europäische Vertretung in Ried im Innkreis/Österreich parallel mit einer dortigen Fertigung geschaffen. Es handelt sich um den Boeing und Airbus-Zulieferer FACC, der auch dort mit einer österreichischen Sondergenehmigung den ersten Testflug des Fluggerätes EHang 216 im offenen Luftraum unter der Aufsicht der österreichischen Luftfahrtbehörde Austro Control am Gelände von FACC im oberösterreichischen St. Martin im Innkreis erfolgreich durchgeführt hatte. Mit dem Abschluss der Systemchecks und dem damit verbundenen Testflug wurde von der Luftfahrtbehörde die Erprobungsbewilligung für die weitere Durchführung von EHang 216 Testflügen erteilt.

Über die weitere Vorgehensweise von EHang und seinem österreichischen Partner ist noch nichts bekannt, denn mit Sicherheit möchte EHang auch den europäischen und später den US-Markt erobern. Testballon könnte schon im kommenden Jahr ein Vergleich mehrerer VTOL-Hersteller mit ihren Air Taxis anlässlich der Olympischen Spiele in Paris werden. Härtester und direkter Mitbewerber ist der deutsche Volocopter, der ebenfalls nur die Fliegbarkeit seines Volo City durch 18 offene Rotoren unter Beweis stellen wird. Doch dabei wird es nicht bleiben. Schon zeichnen sich neuere Konzepte mit zusätzlichen festen Flügeln ab. Auch Ehang hat mit dem VT30 ein entsprechendes Konzept im Portfolio.  Hellmut Penner

Die Musterzulassung feierte das Entwicklungsteam mit einer Zeremonie. Foto EHang