Erinnerungen an die Learjets

12. Februar 2021: Ende 2021 wird Bombardier die Produktion des Learjets einstellen, wie der kanadische Flugzeughersteller am 11. Februar im Rahmen der Publikation seiner Finanzzahlen für 2020 bekanntgab. Damit endet eine Ära, welche Anfang der 1960er-Jahre in Altenrhein mit dem FFA P-16 begonnen hatte. Denn er erste Learjet wurde von Bill Lear aus dem P-16 entwickelt und ist die „Mutter aller Privatjets“. SkyNews.ch-Mitarbeiter Robert Appel hat seine persönlichen Erinnerungen an seine Zeit mit dem Learjet niedergeschrieben und Paul Bannwarth präsentiert in der Foto-Galerie verschiedenste Learjets:

Ich arbeitete zwischen 1974 und 1976 in der Einsatzplanung von Contactair in Stuttgart. Aus der Kurfiss Aviation hervorgegangen, operierten wir einen Lear 23, einen Lear 24, einen Lear 25 und später einen Lear 35. Später arbeitete ich bei der Private Jet Services Basel, dem Charter-Subsidiary von Jet Aviation, für eine kurze Zeit ebenfalls in der Einsatzplanung. Auch dort waren zwei Learjet 24 im Dienst.

Dieser Typ war zweifellos ein grosser Wurf, erfreulicherweise mit Schweizer Wurzeln, wenngleich die Erfolglosigkeit des P-16 sehr zu bedauern ist. Aber es war gerade deshalb der Grund, dass der Learjet verschiedene Eigenheiten eines Fighters besass. Hier ein paar Beispiele: Das Treibstoffsystem besass keine Fuel Heaters, um Eisbildung vor den Pumpen zu verhindern. Im Militär wird (wurde?) deshalb JP4-Treibstoff verwendet, welchem, im Gegensatz zum in der Zivilluftfahrt verwendeten JP1-Fuel, ein Anti-Gefriermittel beigefügt war. Deshalb musste während des Tankens mittels einer Sprühdose simultan ein entsprechendes Additiv zugegeben werden, das so genannte „Prist“. Ein Crew-Mitglied musste also während des ganzen Vorgangs dort stehen und aufs Knöpfchen drücken… Getankt wurde mit einem Browser direkt in die Wingtip-Tanks, und zwar einzeln – einen Central Fuelling Point oder gar Druckbetankung gab es noch nicht. Weil aber das einseitige Tanken schnell für Ungleichgewicht sorgte, musste der Tankvorgang kurz vor dem seitlichen Kippen unterbrochen und am gegenüberliegenden Tank fortgesetzt werden! Fuel Crossfeed war natürlich vorhanden, aber einerseits arbeitete dieses nicht schnell genug fürs Tanken, und andererseits hätte der Strombedarf die Batterien überfordert.

Apropos Batterien: Diese waren eine speziellen Compartment untergebracht, dem so genannten „Hell Hole“. Da sagt der Name wohl genug, denn für den Engine-Start wurde eine Stromleistung abgerufen, welche die Batterien schnell zum Überhitzen brachte. Mit Folgen: Jet Aviation musste deswegen mitten in Afrika einen Lear 24 reparieren! Das Electronic Compartment befand sich in der Nose Section, natürlich ungeheizt und nicht druckbelüftet.

Die Performance des Learjets wurde allgemein als hervorragend bezeichnet. Offensichtlich dachten die meisten nur an die Startperformance, und diese war wirklich herausragend! Anders aber bei der Landung: die Maschine besass weder Reverser noch Bremsschirm, sondern schnell überhitzende Radbremsen. Airport Restrictions gab es deshalb hauptsächlich wegen der benötigten Landedistanz, denn die Landegeschwindigkeit war ebenfalls Fighter-like.

Die Kabine bot ausser gediegenen Ledersesseln keinen nennenswerten Komfort. Der Durchmesser lies nur eine sehr gebückte Haltung zu. Und das Gepäck musste vor dem Boarding der Passagiere durch die Kabine in den Gepäckraum befördert werden – auf den Knien im engen Durchgang zwischen den Sitzen. Ein von aussen zugängliches Baggage Hold spendete Lear erst einer späteren Version. Trotzdem war das Flugzeug bei den Kunden sehr beliebt. Vermutlich vom Flugerlebnis her, denn allein die Beschleunigung bei Brake Release mit Full Power – von den Piloten immer regelrecht zelebriert – gehörte zum Feinsten.

Ich erinnere mich an einen Checkflug mit dem Lear 23 – dem rassigsten aller Learjets – dem ich beiwohnen durfte. Im Cockpit sassen zwei ehemalige Angehörige der deutschen Luftwaffe (sie flogen damals F-86 und F-104). Irgendwann während dieses Fluges beantragten und erhielten sie eine ATC-Freigabe für Airwork. So konnten sie sich wieder mal als Fighter Pilots austoben, und mir brachte das die Erinnerung an einen der aufregendsten Flüge, den ich je erlebt hatte.

Alles in allem sicher ein tolles Flugzeug – damals. Ein Kollege und ich sprachen allerdings despektierlich von einem «Micky-Mouse»-Flugzeug. Und wenn ich die neueren Versionen rein optisch betrachte, so fallen mir die verschiedenen dazugekommenen zusätzlichen Stabilisierungsflächen auf. Diese Maschine, die konzeptionell doch schon Ende der 1950er-Jahre entstand, ist offensichtlich am Ende ihrer Modifikationskapazität angelangt!   Robert Appel