SUST: Leistungsgrenzen des Helis überschritten

22. Juli 2023: Der Unfall des Robinson R22 Beta II HB-ZOF am 22. November 2022 auf der Vorder Alp (Gemeindegebiet Maienfeld) ist aufgeklärt. In fast rekordverdächtiger Zeit hat die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST vor wenigen Tagen den Schlussbericht veröffentlicht: Der Heli erlitt während des Abflugs auf dem 6200 Fuss hohen Landeplatz einen Rotordrehzahlabfall und kollidierte anschliessend mit dem Gelände. Pilot und Fluglehrer blieben unverletzt, der Heli wurde zerstört.

Um etwa 8.40 Uhr startete der damals 48-jährige Fluglehrer gemäss SUST-Bericht mit einem 45-jährigen Flugschüler mit dem R22 Beta II HB-ZOF der Valair ab dem Heliport Balzers. Im Bereich des nahegelegenen Regitzerspitzes begannen sie mit den geplanten Trainingsanflügen auf Landeplätze, die alle unter 1100 Meter über Meer (entsprechend rund 3600 Fuss) lagen. Danach flog die Besatzung in Richtung der Jeninser Alp, also das Gebiet der späteren Unfallstelle, und führte dort auf einem Landeplatz, der auf etwa 5500 Fuss lag, weitere Trainingsanflüge durch.

Im Anschluss zeigte der Fluglehrer dem Flugschüler einen Landeplatz bei der Vorder Alp, den er von früheren Trainingsflügen her kannte, und forderte den Flugschüler auf, dort zu landen. Der Flugschüler kannte diesen Landeplatz nicht und war dort noch nie gelandet. Der Landeplatz bestand aus einer kleinen ebenen Fläche auf 1890 Meter über Meer (rund 6200 Fuss), die in einem steilen (rund 45-Grad-Gefälle), ungefähr nach Süden ausgerichteten Hang lag:

Blick auf den Landeplatz, Blickrichtung Süd ins Churer Rheintal. Aufnahme vom Unfalltag. Foto SUST

Nach der Besprechung am Boden bei reduzierter Drehzahl des Motors und gezogener Vergaservorwärmung beschloss die Besatzung, noch zu einem weiteren Landeplatz zu fliegen. Wie bei den Abflügen zuvor stiess der Fluglehrer gemäss seiner Aussage und Erinnerung den Bedienhebel für die Vergaservorwärmung vor dem Start wieder ganz hinunter. Der Flugschüler nahm den Helikopter in den Schwebeflug, ungefähr einen halben bis maximal einen Meter über Grund, führte gemäss Aussage die dort üblichen Checkpunkte (hover check) durch, und beschleunigte den Helikopter anschliessend wie bei den Abflügen zuvor in den horizontalen Vorwärtsflug, steht im SUST-Bericht weiter. Während dieser Beschleunigungsphase, als sich der Helikopter etwa drei bis vier Meter vom Landeplatz wegbewegt hatte und sich bereits über dem steil abfallenden Gelände befand, nahmen sowohl der Fluglehrer wie auch der Flugschüler akustisch eine leichte Reduktion der Rotordrehzahl wahr, ohne dass aber das Warnhorn für tiefe Rotordrehzahl (low-RPM horn) erklungen sei.

Der Fluglehrer übernahm sofort die Steuer und versuchte, durch eine leichte Reduktion des kollektiven Blattverstellhebels (collective) die Drehzahl wieder zu stabilisieren. Dies gelang nicht, und der Helikopter begann zu sinken. Da sich der Helikopter bereits über steil abfallendem Gelände befand, wo eine Landung nicht mehr möglich war, versuchte der Fluglehrer, den Helikopter parallel zum abfallenden Gelände zu beschleunigen und in die Translation10 zu bringen. So flog der Helikopter sinkend in geringer Höhe über Grund ungefähr parallel zum steil abfallenden Gelände entlang der Falllinie, ohne dass die Rotordrehzahl stabilisiert werden konnte. Die Kufen touchierten anschliessend mehrmals das Gelände, bevor sie sich im Boden eingruben und sich der Helikopter nach vorne überschlug, wobei die Hauptrotorblätter in das Erdreich einschlugen. Nach mindestens einem Überschlag kam der Helikopter im Steilhang wieder auf den Kufen stehend zum Stillstand, stabilisiert durch den Heckausleger. Die Besatzung blieb unverletzt und konnte sich selbständig aus dem Wrack befreien, der Helikopter wurde zerstört. Der automatische Notsender ELT löste nicht aus.

Links: Hebel-Position der Vergaservorwärmung im Cockpit, wie sie auf der Unfallstelle vorgefunden wurde. Rechts: Luftfiltergehäuse mit Kaltluft- (1) und Warmlufteinlass (2) sowie der Schieber und Kabelzug der Vergaservorwärmung (3) zeigt die Position des Schiebers bei der Hebel-Position der Vergaservorwärmung gemäss der linken Abbildung. Fotos SUST

Die SUST führt den Unfall darauf zurück, dass die Leistungsgrenzen des Helikopters überschritten wurden, wahrscheinlich akzentuiert durch eine teilweise gezogene Vergaservorwärmung. Beigetragen hätten auch die nicht konsequente Überprüfung der Leistungsreserven im Schwebeflug, eine fragwürdige Übungsanlage und die zu geringe Sicherheitsreserven angesichts der noch geringen Erfahrung des Fluglehrers in der Gebirgsflugschulung, heisst es im Schlussbericht weiter.  Hansjörg Bürgi

Zum SUST-Schlussbericht: HB-ZOF