Kehrtwende des Bundesgerichts: Freispruch für Flugloste

Das kam unerwartet: Das Bundesgericht hat in seinem am 8. November 2019 veröffentichen Urteil einen Zürcher Skyguide-Flugverkehrsleiter freigesprochen. Er erteilte am 15. März 2011 zwei Swiss-A320 auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28 in Zürich gleichzeitig die Startfreigabe. Doch weil der eine Pilot den Start abbrach, verlief der Zwischenfall glimpflich. Damit ist nur noch ein weiterer Zürcher-Fluglotsen-Prozess hängig.

Nach der Verurteilung eines Zürcher Flugverkehrsleiters durch das Bundesgericht im vergangenen Juli ging man in der Schweizer Aviatik davon aus, dass auch die beiden anderen noch hängigen Fluglostenfälle mit Schuldsprüchen enden werden. Der nun erfolgte Freispruch ist eine äussert erfreuliche Wende und war so nicht zu erwarten. Vielleicht haben die zahlreichen und vielfältigen Reaktionen auf das Urteil vom vergangenen Sommer bei den Bundesrichtern etwas bewirkt?

Gemäss Bericht der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle SUST hat sich der zu beurteilende Vorfall im März 2011 wie folgt zugetragen: Am 15. März 2011 um 12:41:15 Uhr erhielt der Swiss-Flug nach Moskau, ein Airbus A320 mit dem Rufzeichen „Swiss 1326“, die Freigabe in die Startposition auf der Piste 16 zu rollen. Noch währenddem die A320 rollte, erteilte der Flugverkehrsleiter  um 12:42:19 Uhr die Freigabe zum Start. Die Besatzung von „Swiss 1326“ quittierte diese Freigabe und gab um 12:43:12 auf der Piste 16 Gas. Um 12:43:05 Uhr erhielt ein anderer Airbus A320,  „Swiss 202W“ nach Madrid, welcher in der Startposition auf der Piste 28 wartete, die Startfreigabe. Die Besatzung quittierte diese Freigabe und leitete unmittelbar darauf den Startlauf ein.

Um 12:43:47 Uhr, also 42 Sekunden nach der Startfreigabe und während des Startlaufs auf der Piste 28, bemerkte die Besatzung von „Swiss 202W“ die sich von rechts annähernde A320 „Swiss 1326“ auf der Piste 16. Darauf hin leitete der Commander unmittelbar einen Startabbruch ein. Ungefähr gleichzeitig befahl der Flugverkehrsleiter der Besatzung „Swiss  202W“, den Start sofort abzubrechen. „Swiss 202W“ war in diesem Zeitpunkt 135 Knoten schnell, die A320 kam im Sicherheitsbereich vor der Piste 16 zum Stillstand. Die Besatzung von „Swiss 1326“ hatte die auf der Piste 28 startende A320 nicht bemerkt und setzte ihren Flug zum Bestimmungsort fort.

Die SUST führt in ihrem 75-seitigen Bericht diesen schweren Vorfall darauf zurück, dass der betreffende Flugverkehrsleiter einem Flugzeug auf Piste 28 die Startfreigabe erteilte, obwohl sich auf Piste 16 ein weiteres Flugzeug, dem er kurz zuvor die Startfreigabe erteilt hatte, noch im Startlauf befand. Dies hatte zur Folge, dass es zwischen diesen Flugzeugen zu einer unbeabsichtigten Annäherung kam, die ein hohes Kollisionsrisiko aufwies. Zu diesem Vofall hätten auch die Komplexität des Zürcher Flugregimes und das hohe Verkehrsaufkommen beigetragen, so die SUST.

Die Aerocontrol Switzerland, ein Berufsverband von Schweizer Air Traffic Controllers,  ist erfreut über dieses Urteil, auch weil damit ein Rechtsfall nach über acht Jahren endlich zu einem positiven Ende kommt. Das Bezirksgericht Bülach hatte als erste Instanz den Flugverkehrsleiter im Dezember 2016 freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft zog darauf das Urteil ans Obergericht weiter, welches zu einem anderen Schluss kam und ihn am 12. Dezember 2018 schuldig sprach. Gegen dieses Urteil legte der Flugverkehrsleiter beim Bundesgericht Beschwerde ein, welche nun gutgeheissen wurde. Inwiefern dieses Urteil ein neuer Präzedenzfall darstelle, bleibe zu klären, so Aerocontrol Switzerland.

Der noch hängige dritte Fluglotsenprozess geht auf den Vorfall vom 22. August 2012 am Flughafen Zürich zurück. Dabei kam es zu einer Annäherung zwischen einer auf der Piste 28 startenden Saab 2000 und einem Sportcruiser, der sich im Anflug auf die Piste 16 befand. Eine Fluglehrerin führte mit einem Privatpiloten im Rahmen eines Lizenz-Revalidation-Trainings mehrere Sichtanflüge auf verschiedene Pisten des Flughafens Zürich aus. Der Fluglotse bemerkte den sich anbahnenden Konflikt und ordnete für das Privatflugzeug ein Ausweichmanöver an. Beide beteiligten Flugzeuge konnten ihre Flüge nach dem Vorfall fortsetzen, ohne dass jemand zu Schaden kam. Das Bezirksgericht Bülach sprach den Fluglotsen im März 2019 sechseinhalb (!) Jahre nach dem Vorfall – wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs für schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 100 Franken. Das Gericht war sich allerdings nicht einig, das Urteil kam nur mit einem Mehrheitsentscheid zustande. Als nächste Instanz wird sich das Zürcher Obergericht mit diesem Fall befassen.     Hansjörg Bürgi

SUST-Bericht: 2136_d

Grafik SUST