Ju-52-Unfall wegen zu riskanten Piloten

28. Januar 2021: Der heute erschienene SUST-Schlussbericht zum Absturz der Junkers Ju-52, der am 4. August 2018 insgesamt 20 Menschenleben forderte, geht mit den Piloten, der Ju-Air, aber auch dem BAZL hart ins Gericht: Die Piloten seien hochriskant geflogen, die Ju-52 HB-HOT sei zum Unfallzeitpunkt nicht flugtüchtig gewesen und das BAZL sei nicht in der Lage gewesen die Ju-Air in ihrer 36-jährigen Betriebsdauer ausreichend zu beaufsichtigen.

Der Flug der Junkers Ju-52 HB-HOT verlief am 4. August 2018 nach dem Start in Locarno zunächst ereignislos über die Riviera und das Bleniotal in Richtung der Greinaebene. Einige Minuten später überquerte das Flugzeug in der Region Ilanz. In dieser Phase befand sich die HB-HOT in einem Steigflug und erreichte über dem Gebiet Nagens mit 2833 Meter über Meer ihre grösste Flughöhe auf ihrem letzten Flug, hält die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST im Schlussbericht fest.

Es falle auf, dass die Besatzung das Flugzeug kurz nach dem Vorbeiflug am Berghaus Nagens mit einer Geschwindigkeit führte, die über längere Zeit nur noch rund 140 km/h über Grund betrug, so die SUST. Damit lag die Fluggeschwindigkeit beim Anflug auf den Talkessel südwestlich des Piz Segnas ungefähr 44 Prozent über der Abrissgeschwindigkeit. Da während des bisherigen Fluges bereits Turbulenzen aufgetreten waren und für die Passüberquerung eine Kurve, verbunden mit einer höheren Abrissgeschwindigkeit, notwendig wurde, war diese Sicherheitsmarge gemäss SUST zu gering. Dazu komme, dass das Flugzeug bereits in dieser Phase eine tendenziell geringe Überhöhung von weniger als 200 Meter gegenüber dem zu überquerenden Segnespass aufwies, was verbunden mit dieser tiefen Geschwindigkeit eine riskante Ausgangslage für den weiteren Flugverlauf darstellte.

Diese Situation verbesserte sich nicht, obwohl die Geschwindigkeit kurzfristig um rund 50 km/h bis gegen 230 km/h wahrer Fluggeschwindigkeit anstieg, weil dieser Geschwindigkeitszuwachs nicht von einer Leistungserhöhung herrührte, so die SUST weiter. Er resultierte vielmehr aus einem leichten Sinkflug um rund 80 Meter, der die Überhöhung des Flugzeugs gegenüber dem Segnespass auf rund 115 Meter verringerte. Aufgrund der topografischen Enge dieses Übergangs müssten für eine sichere Überquerung der entsprechenden Krete deutlich grössere Geländehöhen als die Passhöhe in die Wahl des Flugweges einbezogen werden, wird im SUST-Bericht festgehalten.

Durch eine Leistungserhöhung auf allen drei Motoren um je ungefähr 40 Umdrehungen pro Minute stieg die Maschine daraufhin um etwa 25 Meter auf 2767 Meter über Meer und wies damit wieder rund 140 Meter Überhöhung gegenüber dem Segnespass auf. Gleichzeitig verringerte sich aber die wahre Fluggeschwindigkeit der HB-HOT gegen 200 km/h und der herrschende Gegenwind nahm laufend ab.

Die Analyse der Leistungssetzung und der Drehzahlen der drei Motoren zeige, dass diese regelbar waren und das Flugzeug auf Leistungsänderungen reagierte. Dabei wurden weder die höchstzulässige Drehzahl noch die angesichts der nachgewiesenen technischen Einschränkungen zu erwartenden höchstmöglichen Drehzahlen der Motoren erreicht. Daraus schliesst die SUST, dass trotz der relativ grossen Dichtehöhe und dem mangelhaften Zustand der Motoren noch eine Leistungsreserve vorhanden war. Die Analyse der Querruderausschläge und der Reaktion des Flugzeuges auf diese Steuereingaben belege, dass das Flugzeug auch in dieser Phase des Fluges steuerbar war und entsprechend reagierte.

Kurz darauf flog die HB-HOT in den Talkessel südwestlich des Piz Segnas ein und wurde annähernd in der Talmitte auf einem nordnordöstlichen Kurs gesteuert. Mit dieser Flugwegwahl wollte die Besatzung möglicherweise den Passagieren eine gute Sicht auf das Martinsloch, eine bekannte geologische Sehenswürdigkeit, gewähren, so die SUST weiter. Aufgrund der geringen Flughöhe und der Enge des Talkessels sei nun keine sichere Umkehrkurve oder eine andere Flugwegwahl als über die Krete des Segnespasses mehr möglich gewesen. Indem die Flugbesatzung auf sicherheitsrelevante Voraussetzungen im Gebirgsflug verzichtete, habe sie in Verbindung mit der geringen Flughöhe gegenüber dem zu überquerenden Pass eine hochriskante Situation geschaffen, so die SUST.

Wie Videoaufnahmen belegen, leitete die Flugbesatzung während des Absinkens und als sich das Flugzeug ungefähr querab des Martinslochs befand, eine Rechtskurve ein und führte anschliessend einen Kurvenwechsel nach links durch. In dieser Phase wurde die Leistung der Motoren geringfügig reduziert, wobei die Charakteristik der Regelungsweise nahelegt, dass die Flugbesatzung daran war, die drei Motoren zu synchronisieren. Gleichzeitig erhöhte sich der Längslagewinkel des Flugzeuges weiter und die Flugbahn wurde zunehmend steiler gegen unten. Es sei denkbar, dass aufgrund der Beschäftigung mit den Motoren und der Perspektive, die ein einfaches Erkennen des Absinkens erschwerte, der Längslagewinkel durch die Piloten unbewusst vergrössert wurde, um dies zu kompensieren, so die SUST. Zudem begünstigte die Lage des Schwerpunktes ausserhalb der hinteren Begrenzung diesen Vorgang und machte das Flugzeug instabiler um die Querachse, was einen direkt zum Unfall beitragenden Faktor darstellt.

Anschliessend nahm das Flugzeug eine Sinkgeschwindigkeit von rund 6 Meter pro Sekunde an, die in der Folge weiter zunahm, was aufgrund der Analyse von Fluglage, Geschwindigkeit und der Strömungsverhältnisse im Talkessel südwestlich des Piz Segnas nicht mehr einem Abwind zugerechnet werden könne. Aufgrund des hohen Längslagewinkels und der deutlich nach unten weisenden Flugbahn sei es auch ausgeschlossen, dass dieser Sinkflug von der Flugbesatzung durch das Höhensteuer bewirkt wurde, steht im Schlussbericht. Vielmehr schliesst die SUST daraus, dass sich das Flugzeug in einem Flugzustand befand, in dem die Luftströmung am Tragflügel zumindest teilweise abgerissen war.

Dieses Abreissen der Strömung, ein sogenannter Stall, kann aerodynamisch wie folgt erklärt werden: Die HB-HOT war zunächst durch ein Abwindfeld in einen Sinkflug gebracht worden. Der Sinkflug im Abwind, der durch einen zunehmenden Längslagewinkel teilweise kompensiert wurde, führte zu einem Flugzustand nahe am maximalen Anstellwinkel. In dieser Fluglage genügte die zusätzliche Erhöhung des Anstellwinkels beim Einfliegen in einen mehr oder weniger starken Aufwind, um die Strömung zumindest teilweise abreissen zu lassen. In einem anhaltenden oder langsam abnehmenden Abwind wäre diese Entwicklung nicht zu erwarten gewesen.

Die Videoaufnahmen zeigen weiter, dass sich während dieses Flugzustandes, der einem Sackflug glich, die Querlage nach links stetig vergrösserte. Als diese rund 30 Grad erreicht hatte, erfolgte ein zunächst geringer und dann ein deutlicher Korrekturausschlag des linken Querruders nach unten, was ein Rollmoment nach rechts, also entgegen der Rollbewegung bezweckte. Daraus schliesst die SUST, dass die Flugbesatzung damit die Linkskurve bei einer konstanten Querlage stabilisieren wollte und wahrscheinlich den eingetretenen Strömungsabriss noch nicht wirklich wahrgenommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Flugzeug auf rund 2725 Meter über Meer und wies damit noch eine Überhöhung von rund 100 Meter gegenüber dem Segnespass auf.

Die Rollbewegung nach links verlangsamte sich aber nicht und die Querlage nahm weiter zu. Nun wurden die Querruder in Neutralstellung gebracht, also leicht in eine Lage für eine Linkskurve ausgeschlagen. Gleichzeitig begann sich die Nase des Flugzeuges nach unten zu senken. Die Piloten hatten gemäss SUST richtig reagiert und versuchten offenbar, das Flugzeug durch ein Nachführen der Steuer in Richtung der Abkippbewegung wieder steuerbar zu machen. Dieser Abfangvorgang sei allerdings aufgrund des geringen Abstands zum Gelände nicht mehr erfolgreich durchzuführen gewesen, wie eine entsprechende Simulation gezeigt habe, hält die SUST weiter fest. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Flugzeug rund 108 Meter über Grund. Etwas mehr als zwei Sekunden später prallte es nach einer Rollbewegung um weitere 186 Grad nach links in einer senkrechten Fluglage und mit annähernd senkrechter Flugbahn bei einer Geschwindigkeit von rund 200 km/h auf den Boden. Alle 17 Passagiere und die Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben.

Die SUST stellt in ihrem Bericht unter anderem folgende tieferliegende Faktoren fest, welche die Entstehung des Unfalls begünstigten:

  • Der Schwerpunkt des Flugzeuges befand sich während des Unfallfluges zu weit hinten. Diese gefährliche Situation war durch eine mangelhafte Flugvorbereitung und durch Fehler in einer Software von Ju-Air zustande gekommen.
  • Die Piloten des Unfallfluges und auch eine Anzahl anderer Piloten von Ju-Air hatten sich bei Ju-Air daran gewöhnt, Regeln für einen sicheren Flugbetrieb nicht einzuhalten und auch bei Flügen mit Passagieren hohe Risiken einzugehen.
  • Ju-Air als Flugbetriebsunternehmen erkannte die wesentlichen Risiken in seinem Flugbetrieb nicht. Auch verhinderte es die zahlreichen Regelbrüche seiner Piloten nicht.
  • Verschiedene Voraussetzungen, die für gewerblichen Luftverkehrsbetrieb mit Passagieren ein hohes Mass an Sicherheit gewährleisten sollen, waren seit längerer Zeit nicht erfüllt.
  • Die Aufsichtstätigkeit des BAZL vermochte zahlreiche Sicherheitsprobleme bei Ju-Air nicht zu erkennen bzw. zeigte nicht genügend Wirkung.

Zusammenfassung Hansjörg Bürgi

 

Der SUST-Schlussbericht als PDF: SB_HB-HOT_D

In der Märzausgabe von SkyNews.ch, welche am 1. März erscheint wird ausführlich auf den Schlussbericht der SUST eingegangen.